Sog. Kopfgelenksinstabilität

Informationen zur sog. „cervico-occipitalen Instabilität“ bzw. „Kopfgelenksinstabilität“

 

Bei der Beschreibung einer Überbeweglichkeit (Hypermobilität) müssen wir eine strukturelle und eine funktionelle Ursache unterscheiden. Bei der strukturellen Überbeweglichkeit ist durch eine veränderte anatomische Form, die Fehlbildung eines Wirbels oder eines Wirbelgelenks eine übernatürliche Beweglichkeit vorhanden. Diese kann angeboren sein, im Laufe der Jugend durch Wachstumsstörungen oder später durch Unfälle entstehen. Sie ist immer im MRT oder im Röntgen an einer veränderten Form der Knochen zu erkennen. Damit verbunden kann die Beweglichkeit sehr stark vergrößert sein. Denken Sie z.B. an Kontorsonisten ("Schlangenmenschen") die sich extrem verdrehen können. Aber selbst diese außergewöhnliche Überbeweglichkeit muss, wie uns die Artisten zeigen, keine Beschwerden verursachen.

Von einer funktionellen Überbeweglichkeit sprechen wir, wenn das Gelenk an sich normal beweglich ist, die umgebenden Strukturen, die Muskeln und Bänder, aber keine ausreichende Bewegungsstabilität bieten. Diese scheinbare Überbeweglichkeit kann Folge von unzureichender Muskelkraft, verminderter Koordination, verspannter Muskulatur, aber auch von einer Bindegewebsschwäche sein. Bei einer angeborenen Bindegewebsschwäche findet sich die Überbeweglichkeit oft auch in anderen Gelenken, kann aber auch in Zusammenhang mit Stoffwechsel- oder Hormonveränderungen auftreten.

Da jede Bewegung erst durch Instabilität, also durch das Verschieben der Gelenkpartner möglich wird, ist Instabilität grundsätzlich eine Voraussetzung für Bewegung. Auch eine große Überbeweglichkeit ist deshalb nur relevant, wenn sie tatsächlich zu einer ungünstigen Belastung der Wirbelsäule bzw. der Gelenke führt und damit u.U. Reizungen hervorruft. Diese sind lokalen Reizungen oder Veränderungen der Wirbelsäule oder Gelenkflächen sind nach einer gewissen Zeit auch in konventionellen Röntgenaufnahmen, sicher aber im MRT, nachweisbar. Wenn nun aber selbst nach Jahren einer scheinbaren Instabilität in dem betroffenen Bereich keine Entzündungen oder Abnutzungen entstanden sind, kann und sollte eine relevante strukturelle Überbeweglichkeit ausgeschlossen werden.

Wir müssen also zwischen einer kontrollierten Überbeweglichkeit, wie bei den Schlangenmenschen, und einer unkontrollierten Überbeweglichkeit unterscheiden. Letztere können wir auch als funktionelle Instabilität bezeichnen.

Die Beurteilung, ob ein Gelenk zu instabil, zu fest oder genau richtig beweglich ist, liegt nach heutigem Wissenstand weniger am Gelenk selbst, sondern an der muskulären Führung und der Kontrolle des Gelenkes durch die Koordination und Sensibilität der umgebenden Strukturen, der Gelenkkapsel, den Muskeln, den Sehnen und der Rezeptoren.
Das bedeutet, für beide Situationen, sowohl für die strukturelle als auch für die funktionelle Überbeweglichkeit, ist letztlich die Qualität der muskulären Führung der entscheidende Parameter.

Die im Zusammenhang mit einer Kopfgelenksinstabilität im Internet geschilderten Beschwerden, sowie die von einigen Spezialisten, bzw. nach Upright-MRT oftmals genannte Diagnose einer „cervico-occipitalen Instabilität“ oder „Kopfgelenksinstabilität“ werden sehr kontorvers diskutiert.

Oft melden sich Patient bei uns mit der Diagnose einer instabilen HWS oder einer Kopfgelenksinstabilität, die oft nach einer langen Odyssee letztlich, wie oben beschrieben, diagnostiziert wurde. Natürlich ist der Patient froh, dass endlich jemand die Ursache seiner komplexen Beschwerden auf einen Punkt zurückführen kann.
Im Vordergrund stehen dann oft weniger die Symptome der Halswirbelsäule an sich, sondern die begleitenden Veränderungen im gesamten Nervensystem, insbesondere des autonomen Nervensystem (Sympathikus/Parasympathicus), verbunden mit weiteren Symptomen wie Erschöpfung, Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Sehstörungen etc..
Hierbei handelt es sich jedoch um Störungen des zentralen Nervensystems die nicht alleine als Folge einer Veränderung an der HWS, auch keiner sogenannten Kopfgelenksinstabilität, erklärt werden können.

Viel wahrscheinlicher sind übergeordnete Erkrankungen, die oft mit Nackenschmerzen einhergehen, hier ist insbesondere das chronische Erschöpfungssyndrom (CFS/ME) oder eine Traumafolgestörung (PTBS) zu nennen.


Wichtig ist vor allem, alle Untersuchungen die in diesem Zusammenhang genannt werden beziehen sich auf Patienten, die vorher ein Schleudertrauma erlitten hatten. Es gibt nach meiner Kenntnis keiner wissenschaftliche Untersuchung  zur Überbeweglichkeit/Instabiltät die sich auf Patienten mit chronischen Nackenschmerzen ohne Unfall bezieht!
Insofern müssen die gesamten Untersuchungsergebnisse mit großer Skepsis betrachtet werden.
Hierbei muss auch berücksichtigt werden, dass auch viele andere Bänder nach Verletzung Narben zeigen, diese jedoch keine Störung bedeuten. Denken Sie noch einmal an eine Außenbandverletzung am Sprunggelenk, wie sie sehr häufig vorkommt. In den meisten Fällen finden wir danach im MRT natürlich narbige Veränderungen dieser Bänder, die Funktion des Gelenkes ist jedoch nicht eingeschränkt, auch bestehen keine Beschwerden. Nur in sehr seltenen Fällen entsteht nach einer Außenbandverletzung auch eine anhaltende Schmerzsymptomatik, die dann aber eben nicht als Folge der Verletzung natürlicherweise auftretenden Narbenbildung erklärt werden kann. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Bänder bei einem Unfall zerstört werden, muss auch daraus keine Schmerzsymptomatik entstehen. Neben sie nur einmal die Verletzung des vorderen Kreuzbandes am Kniegelenk, viele Patienten können auch mit dieser Verletzung vollkommen beschwerdefrei sein, teilweise sogar beschwerdefrei Leistungssportler betreiben.

Die dogmatische Diagnose einer Kopfgelenksinstabilität als Erklärung für Nackenschmerzen lässt sich so nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht mehr aufrecht halten. Im Gegenteil, sie beruht im Wesentlichen auf einem alten, noch aus dem letzten Jahrhundert stammenden primär mechanischen Krankheitsverständnis. Dies deckt sich nicht mit den heutigen Forschungsergebnissen, bei denen wir davon ausgehen, dass die Gelenkstabilität durch die muskuläre Führung und Kontrolle entsteht.

Insbesondere das Kopfgelenk, hat aufgrund der großen Beweglichkeit eine große Varianz der Gesamtbewegung. Die z. T. beschriebene „Dezentrierung“ des Axis ist möglicherweise eine normale Bewegungsvariante und, insbesondere ohne gravierenden Unfall, keine Instabilität im funktionellen Sinn.

Aber selbst, wenn wir eine solche Instabilität annehmen würden, bleibt nur ein gezieltes, neurophysiologisches Training der Muskulatur und die Wirbelsäule zu stabilisieren – Denken Sie an die Kontorsionisten!

Für zum Teil tatsächlich durchgeführte operative Versteifungen oder Sklerosierungen ohne strukturelle Instabilität gibt es keine wissenschaftliche Basis.