Chronifizierter Schmerz

Die aktuelle neurobiologische Forschung präsentiert uns ein immer detailliertes Bild darüber, wie Schmerzen entstehen und wie sie im Nervensystem verarbeitet werden.
Viele der Erkenntnisse stehen im Gegensatz zu unseren bisherigen Annahmen und stellen alte Vorstellungen auf den Kopf.
Ganz besonders betrifft dies die Veränderungen bei chronischen Beschwerden oder die Folgen von starken akuten Schmerzen.

Dies erklärt warum in vielen Fällen die Behandlungen die für akute Beschwerden vorgesehen sind
bei chronischen Beschwerden keine oder kaum Wirkung entfalten.
Nehmen wir beispielsweise die typischen Schmerz- und entzündungshemmenden Medikamente,
da sie für akute Schmerzen und Entzündungsreaktionen entwickelt wurden, hemmen sie im Körper genau diese Mechanismen.
Da sich die Mechanismen bei chronischen Schmerzen aber verändern, bleiben die Mittel oft ohne Wirkung.

Bei starken akuten oder länger bestehenden Schmerzen
kann sich die Schmerzverarbeitung im Nervensystem radikal verändern.

Eine Störung der Schmerzverarbeitung ist meistens mit weiteren Störungen des autonomen Nervensystems verbunden. In vielen Fällen besteht dann auch eine Störung der Regeneration, zumeist eine "schlechtes" Schlafen.
Auch Kopfschmerzen, Tinnitus, Kieferbeschwerden (CMD), Schwindel oder Konzentrationsstörungen können auftreten.

Besondere deutlich wird die Störung des autonomen Schmerzsystem wenn Krankengymnastik, manuelle Therapie oder Osteopathie immer nur kurz helfen oder sogar zu Verschlechterung führen.

Diese Veränderungen können entstehen:

  • Schmerzgedächtnis
  • Schmerzsensibilisierung (Neuroinflammation)
  • Schmerzverarbeitungsstörung
  • Folgen
    Weitere Chronifizierung der Symptome da am falschen Ort behandelt wird.
    Zusätzlich: Asymmetrischer Muskelabbau, Koordinationsschwäche, hoher interner Stress, Schlafstörung,  Konzentrationsstörung u.v.a. können weitere Folgen sein

Hinweise auf eine Störung der Schmerzverarbeitung im Nervensystem
 

  • Hyperalgesie

    Überstarker Schmerz schon bei geringer Berührung oder Druck (erhöhte Schmerzempfindlichkeit - wie bei einer "allergischen" Reaktion.

  • Diffuse Nervenstörungen

    Kribbeln der Haut, Taubheitsgefühl, brennender Schmerz, Neuralgien.

  • Wide spread pain

    Zusätzliche Schmerzen in anderen Körperregionen.
  • Kofaktoren

    Andere Krankheiten oder Funktionsstörungen können zu einer Störung der Schmerzverarbeitung beitragen

Es bestehen große Überschneidungen des Schmerzsystem mit dem Stresssystem!


Bei chronischen Beschwerden entwickeln sich ähnliche Veränderungen wie beim Übergang von akutem zu chronischem Stress.
Nehmen wir beispielsweise das körpereigene Schmerz- und Stresshormon Cortison.
Bei akutem Schmerz wird im Körper eine hohe Dosis Cortison ausgeschüttet. Dies war in unserer evolutionären Entwicklung überlebenswichtig um die sich z.B. bei Verletzungen noch in Sicherheit bringen zu können.
Wissenschaftliche Experimente konnten nun nachweisen das, wenn Cortison bei chronischem Schmerz (oder Stress!) konstant in einer erhöhten Dosis im Körper ausgeschüttet wird, passiert genau das Gegenteil, die Schmerzempfindlichkeit steigt.
Dieses Phänomen im Körper wurde inzwischen genau untersucht und es gibt viele Studien, die die Zusammenhänge nachgewiesen haben.
Dies kann auch dazu führen, dass selbst normale Berührung oder die Untersuchung beim Therapeuten eine starke, manchmal über Tage anhaltende Schmerzreaktion hervorruft.
Man spricht dann von einer Schmerzsensibilisierung oder auch stressinduzierter Hyperalgesie.

Ganz wichtig:
Bei diesen überstarken Schmerzen handelt es sich keinesfalls um "Einbildung", es sind wissenschaftlich nachweisbare Veränderungen im Nervensystem. Leider wird bei diesen Menschen oftmals fälschlicherweise der Schmerz als "psychisch" oder "psychosomatisch" abgetan.
(Was zwar in einem ganzheitlichen Verständnis nicht ganz falsch ist, denn natürlich ist in einem übergeordneten Sinn alles in uns miteinander verbunden, aber die Ursache dieser erhöhten Schmerzreaktion können wir nicht willentlich beeinflussen).
 

D.h. chronischer Schmerz kann die Schmerzsensibiltät erhöhen!
Bei chronischen Schmerzen ist es deshalb von übergeordneter Bedeutung das Schmerzsystem zu überprüfen.

Dies ist besonders dann wichtig, wenn sie das Gefühl haben, dass der Schmerz übermäßig stark ist, oder nicht durch die medizinischen Befunde erklärt werden kann.

Welche weiteren Symptome können auf eine Störung im Schmerzsystem hinweisen?

  • Chronische Verspannungen
  • Fehlende Wirkung der Schmerzmedikamente
  • Verminderte Entspannungsfähigkeit
  • Erhöhte Empfindlichkeit auf Berührung
  • Innere Anspannung oder Unruhe, Ängste, Panikgefühle

Welche Untersuchungstechnik wird für dieses Modul genutzt?

Wichtig ist das wir uns die Zeit nehmen die Zusammenhänge genau zu untersuchen, denn nicht jeder chronische Schmerz führt zu einer Veränderung der Schmerzverarbeitung.

  • Das Wichtigste um eine mögliche Verselbständigung (Z.B. Schmerzgedächtnis, Schmerzallergie) des Schmerz festzustellen ist ein ausführliche Besprechung:
    Wie ist der Schmerz entstanden ist, wie hat er sich verändert hat und wie er auf die verschiedenen Behandlungen reagiert?
    Wo genau spüren Sie den Schmerz, wie fühlt er sich an, wohin strahlt er aus?
    Gibt es zusätzliche Symptome?
    Dafür müssen wir uns ausreichend Zeit nehmen.
  • Differenzierte Schmerztestung, z.B. Bestimmung der Druckschmerzschwelle
  • Test des autonomen Nervensystem (Sympathicus/Parasympathicus)
    Medizinische Messung der Herzfrequenz-Variabilität (HRV und RSA-Test)
    Regulationstest des autonomen Nervensystem (VRT)
  • Spezielle Schmerzfragebögen
  • Test der körperlichen Leistungs-, Kraft- und Koordinationsregulation
  • Ggf. ergänzende Blutuntersuchung

Welche Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich?

 

Die Ergebnisse können individuell sehr unterschiedliche Bereiche des Schmerzsystem betreffen. Deshalb muss jede Therapie immer individuell festgelegt.

Bisher wird bei einer Schmerzchronifizierung überwiegend mit speziellen Medikamenten gearbeitet. Je nach individueller Situation kann auch eine Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologische Psychotherapie sehr hilfreich sein.
Aktuelle gibt es jedoch vielversprechende neue Therapieansätze die primär aus der Traumatherapie stammen und ohne Medikamente auskommen.
Auch bei einem traumatischen Ereignis hat sich die Verarbeitung von Reizen im Nervensystem verändert bzw. für bestimmte Reize extrem verstärkt. Sowie bei der Schmerzallergie schon ein kleiner Schmerzreiz eine überstarke Schmerzreaktion im Nervensystem und in der Wahrnehmung auslösen kann, kann nach einer traumatischen Erfahrung schon die kleinste Erinnerung, z.B. ein ähnliches Verhalten, ein ähnlicher Ton oder Geruch, eine überstarke Reaktion des emotionalen Nervensystems auslösen.
Die traumatische Erfahrung, die sich wie eine Spur ins Nervensystem eingebrannt hat, lässt sich sehr gut mit Verfahren wie z.B. EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) beeinflussen. Hierbei wird über die gleichzeitige Konzentration auf verschiedene Aspekte des Trauma und geführte Augenbewegungen oder Aktivierung von Körperbereichen durch Vibration oder Klopfen, das Wiederaufrufen der Erinnerungsspur gelöscht.

Aufgrund der guten Therapieergebnisse nach traumatischen Erlebnissen hat man die Verfahren auf Schmerz angepasst und benennt sie mit dem Begriff Pain Processing Therapy (Schmerz-Prozessierung-Therapie), weil auch hier die überstarke Aktivierung der Schmerzregion gestört und abgebaut werden kann.

Ein Probetermin zur Pain Processing Therapy (PPT) wie EMDR oder Somatic Tracking ist im Rahmen des Kompakttermin möglich.

Bei einem Ungleichgewicht der inneren Balance können bestimmte Behandlungen aus der Chinesischen Medizin oder Homöopathie ergänzt werden. Auch Veränderungen der Ernährung, der Bewegungsgewohnheiten oder der Arbeitsweise (Ergonomie) sind manchmal erforderlich. Manchmal sind zu Beginn der Behandlung spezielle Medikamente oder Vitamine wichtig.

In der ärztlichen Besprechung müssen wir klären welche Situationen sich ungünstig auf das vegetative Nervensystem auswirken.
Falls es klare Zusammenhänge gibt, können wir auch überlegen, ob ein Entspannungstraining, ein Schlaftraining, eine therapeutische Beratung oder ein Coaching hilfreich ist.

 

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