Das komplexe cervicale Schmerzsyndrom (CCPS)
(cervix (lat.) = Hals)
Von einer komplexen Reaktion sprechen wir in der Medizin, wenn durch einen Auslöser, hier z.B. ein Verspannungsschmerz im Nacken, eine weitläufige Kaskade von Reaktionen entsteht.
C.G. Jung, einer der großen Entwickler der analytischen Psychotherapie, benutzte den Begriff, wenn scheinbar alltägliche Situationen bei einem Menschen eine überstarke, wir würden sagen unangemessene Reaktion hervorrief. Er erklärte diese emotionale Überreaktion durch eine Aktivierung von früheren unangenehmen Erlebnissen oder Verletzungen.
Bei der komplexen Schmerzreaktion geschieht etwas Ähnliches. Sehr gut untersucht sind die Reaktionen unseres Nervensystems nach traumatischen Ereignissen wie Verletzungen oder Unfällen.
Ein Sonderfall der komplexen Schmerzreaktion kann deshalb das posttraumatische Schmerzsyndrom, z.B. nach einem Verkehrsunfall, sein.
Was genau passiert bei einer komplexen Schmerzreaktion?
Bei Nackenbeschwerden sprechen wir von einer komplexen Schmerzreaktion, wenn zusätzlich zu der lokalen Schmerzsymptomatik weitere Symptome in anderen Funktionsbereichen unseres Nervensystems auftreten.
Zumeist finden sich parallel Zeichen einer chronischen Schmerzreaktion und eines hyperaktiven Nervensystems.
Typische Symptome können sein:
- Gesichtsschmerzen, - Kribbeln, -Taubheit
- Kribbeln in den Beinen
- Benommenheits-/"Kopfhauben-" gefühl
- Schwindel
- Tinnitus
- Kiefer-/Zahnschmerzen
- Emotionales System: Angst, Panikattacken
- Rückzug, Depression oder depressive Verstimmung
- Vegetative Symptome (Schwitzen, Kälte)
- Neuropathische Schmerzen (Brennen, Nachhallschmerz)
Oft sind diese komplexen Beschwerden für uns viel gravierender, einschränkender und bedrohlicher als der eigentliche Nackenschmerz.
Was können wir tun wenn wir komplexe Beschwerden bei uns feststellen?
Auch hier ist wieder der entscheidende Punkt, dass wir erkennen, dass diese, in anderen Abteilungen unseres Nervensystems entstehenden Reaktionen, nur in indirektem übergeordnetem Zusammenhang zu den Nackenbeschwerden entstehen.
Dies bedeutet auch, dass in den meisten Fällen die isolierte Behandlung der Nackenbeschwerden nicht ausreicht, um diese komplexe Schmerzreaktion zu ändern.
Damit wir verstehen was uns helfen kann, ein Beispiel aus der Traumaforschung:
Nach einem Unfall kann noch sehr lange, auch wenn alle Unfallfolgen abgeheilt sind, in einer annähernd ähnlichen Situation, ein "erschrecken" entstehen.
Manchmal nur ausgelöst durch ein plötzliches Ereignis, etwas das wie reflexartig unser Nervensystem aktiviert.
Oft entsteht dann auch eine starke Körperreaktion, die wir als plötzliches Stechen, Brennen oder Verspannung wahrnehmen können.
Auf unseren Nacken übertragenen kann dies bedeuten, dass der Nackenschmerz kurzzeitig vollständig verschwindet und dann durch eine kleine Verspannung, die wir normalerweise kaum wahrnehmen würden, plötzlich die ganze Bandbreite der komplexen Schmerzreaktion erneut ausgelöst wird.
Die dabei auftretenden starken Emotionen wie z.B. Ärger, Angst, Frustration wirken nun wie ein extremer Aktivator und verstärken nicht nur den Schmerz, die Schmerzreaktion, sondern auch die Reaktion in der Muskulatur, sodass erneut Verspannungen, Fehlhaltungen und Schutzreflexe ausgelöst werden.
Zusätzlich kompliziert wird es dadurch, dass diese komplexen Schmerzreaktionen reflexartig im Nervensystem ausgelöst werden. Das heißt, in dem Moment, in dem wir unsere innere Reaktion bemerken, ist im Nervensystem schon alles angestoßen.
Wir können dann aber immer noch eine zusätzliche Verstärkung verhindern, indem wir uns nicht den aufkommenden Emotionen hingeben und uns dadurch weiter verunsichern lassen, sondern sie als kurze Überreaktion verstehen.
Hier kann es dann manchmal extrem hilfreich sein sich einfach abzulenken, denn wenn wir den beunruhigenden Emotionen Raum und nachgeben, kann sich dieses komplexe Reaktionsmuster weiter verfestigen und es wird immer schwieriger es wieder zu löschen.
Wie können wir komplexe Schmerzreaktionen behandeln?
In der Behandlung müssen wir die lokale Behandlung des Nackens immer mit Behandlungen, Übungen und Strategien zur Reduzierung der komplexen Schmerzreaktion verbinden.
Da die komplexe Reaktion in den Tiefen unseres Nervensystems abläuft, ist sie durch äußere Behandlungen, auch wenn sie gut tun, kaum zu verändern.
Es ist deshalb wichtig Übungen und Behandlungen zu wählen, die auch in der Tiefe des Nervensystems Wirkung entfalten können.
Eine direkte Beeinflussung des Nervensystems ist z.B. mit der sich schnell entwickelnden Methode des Neurofeedback möglich.
In unserer Praxis nutzen wir verschiedene Elemente der neurophysiologischen Trainingstherapie, des Muskel-Biofeedbacks, der energetischen Craniosakraltherapie, oder der analytischen oder körperorientierten Gesprächs- und Verhaltenstherapie.
Diese Maßnahmen können sehr gut mit einer traditionellen chinesischen Akupunktur, in der wir die übergeordneten Punkte der Meridiane, die für die Steuerung unseres übergeordneten Nervensystems verantwortlich sind, nutzen.
Zusätzlich haben sich Visualisierung, Atemübungen und Meditation als sehr hilfreich zur Ansteuerung des tiefen Nervensystems erwiesen.
Eine einzelne Behandlungsart wird für sich allein zumeist nicht ausreichend wirken können. Die Behandlung der komplexen Schmerzsyndrome sollte deshalb immer als multimodale Therapie erfolgen. Aus welchen beschwerdeauslösenden Faktoren die Behandlungsplanung für das CCPS erfolgen kann, wird an einem Auswertungsbeispiel des QIMOTO Nackenindex deutlich.
Bei sehr einschränkenden Komplexreaktionen können auch Medikamente eingesetzt werden. Sie führen jedoch gelegentlich dazu, dass zusätzlich Einschränkungen wie z.B. Müdigkeit oder Benommenheit auftreten.
